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Gemeindezentrum mit Kapelle in Manheim-Neu

“Die Schöpfung zu bewahren”, 2013-2020

St. Martinus im Umzug
Eine Gemeinde zieht um, eine Kirche zieht um, eine Identität zieht um. Eine Aufgabenstellung, die bei intensiver Beschäftigung viele Fragen aufwirft. Wie zieht eine Identität um und welche Chancen hat sie dabei sich zu verändern? Was geschieht mit dem, was zurückbleibt, dem Erbauten, der Geschichte des Ortes, mit der wir verantwortungsvoll und würdig umgehen wollen? Wann ziehen die Kirchenbänke, der Tresor, der Altar, der Ambo, der Tabernakel, Marienaltar, heilige Figuren, die Kerzenkapelle, die Linde “100 Jahre Kirche” um? Wann der Wandepitaph, die 9 Steinkreuze, das Hochkreuz, die Krippe oder die bunten Glasfenster, die Glocken, welche bauliche Leerstellen werden zurückgelassen? Kann man sich auf etwas Neues freuen, wenn man etwas Gewachsenes dafür aufgeben muss? Diese Fragestellungen Schritt für Schritt und mit Sorgfalt zu klären und ihnen Raum zu geben, ist Ziel unseres Entwurfes. Wir versuchen einige Antworten zu finden, viele weitere sollten im Dialog, im Prozess, abgewägt und zur rechten Zeit miteinander entschieden werden.

Überführung von Alt zu Neu
Die schrittweise Überführung des Bestandes der alten Kirche findet beispielsweise durch die Verwendung ihrer alten Ziegelsteine im sog. „Bestandsbeton“ der neuen Kirche statt. Als Zeichen des allmählichen Umzuges werden die Bestandsziegel an einzelnen Gebäudeteilen oder der Stützmauer entfernt und in ein neues Baumaterial überführt. Die Ziegel werden gebrochen und der Betonrezeptur für das neue Gebäude beigemischt.

Der Beton wird als offenporiger wärmedämmender Leichtbeton (Infraleichtbeton) hergestellt. Die Gesteinskörnung wird ersetzt durch den Ziegelsplitt des Kirchenziegels in sehr grober Körnung (10-30 mm). Dadurch kann, wie auch durch eingebrachte Luftporenbildner eine Gewichtsreduzierung erwartet werden. Denkbar ist auch eine Verwendung von Glasfasermatten anstelle von Stahlmatten zur Bewehrung. Zusätzlich wird eine hohe Selbstverdichtung erreicht. Raumseitig werden die Wände sandgestrahlt, außenseitig gestockt, um die Bestandsziegel sichtbarer herauszuarbeiten. Der Bestandsbeton ist zentrales konstruktives und ästhetisches Element des Gebäudeensembles. Neben seinen technischen Einzelheiten realisiert sich hier vor allem eins: Die Transformation der alten Kirche in die neue Kirche.

Eine weitere Möglichkeit der schrittweisen Überführung der alten Kirche ist die Verwendung der bunt bemalten Glasfenster. In der Kerzenkapelle zwischen zwei perforierten Wänden können die bildhaften Scheiben vor die Öffnungen gehängt werden, im Innenraum der Kirche leuchtet ihre Farbigkeit. Entwurflich verbildlicht das Feld aus belichtenden Fenstern in der Südwand des Kirchenraumes die Geschichte von Arnoldus, der für die Armen Brennholz sammelte, indem er ein Waldstück umritt während König Karl an der Tafel beim Essen saß. Er schaffte ein Gebiet von zwei Meilen in der Länge und einer Meile in der Breite, wobei er jeweils einen Eckbaum mit dem Schwerte einkerbte. Dieses Waldstück ist auf der Wandfläche als Feld von Baumstämmen abstrakt abgebildet.

Der Umzug birgt nach unserer Einschätzung zahlreiche dieser Chancen und Möglichkeiten. Einerseits aus dem Alten Neues entstehen zu lassen, andererseits das Fehlen der Dinge am Ursprungsort auch zu verdeutlichen. Hierbei werden manche Artefakte umgezogen, andere transloziert. Viele andere fehlen an dem Ort, an dem sie nicht sind. Dieses Fehlen oder das Ankommen am Neuen Ort kann zum Thema gemacht werden, eine Leerstelle abgebildet werden, eine Umpflanzung des Familienmessbaumes kann zu einem gemeinsamen Erlebnis für die ganze Kirchengemeinde werden.

Der Umzug als Prozess
Der Umzug findet allmählich statt, es handelt sich um einen Prozess, der bewusst gemacht werden soll. Die Gemeinde teilt sich für eine Zeitspanne auf, in der manche Bürger bereits in Manheim-Neu den Neuanfang wagen, während andere noch im alten Ort wohnen. In dieser Zeit soll die Umsiedlung der Kirche sichtbar werden, sowohl durch fortschreitenden Bauprozess als auch durch Eingriffe im Bestand. Alles andere folgt dem Prinzip der Transformation und ergibt sich sinnfällig dazu.

Städtebauliche Konzeption
Das öffentliche Ensemble bildet städtebaulich den zentralen Punkt am Marktplatz entlang der dominanten grünen Ost-West Achse, an der die Stadtplätze wie an einer Perlenkette aufgereiht werden. Diese präsente Position nutzt das Ensemble und vertraut sich dem öffentlichen Raum an. Der Wegebelag des Marktplatzes umgreift die Anlage. Die Außenräume werden als Bestandteile des Ensembles begriffen und mit einer Umfassungsmauer eingeschlossen. Diese Mauer ist rundum umgehbar. Sie sitzt gegenüber den Grundstücksgrenzen zurück und ergänzt den öffentlichen Raum. Bürgersteige, Gehwege und Markplatz erhalten spezifische Erweiterungen, die den Räumen Ruhe und Weite geben. Die Mauer, die letztlich auch die Gebäudehülle bildet, erinnert an die Stützmauer der bestehenden Kirche in Manheim. Baurechtlich sind die Mauern keine Einfriedungen, sondern Bauteile des Ensembles, eingerückt gegenüber der Grenzlinie.

Das Ensemble Kirchenzentrum
Die drei Hauptvolumina Kapelle, Pfarrheim und Glockenturm werden aneinander gereiht und über die beiden Freiräume des Pfarrgartens und des Kirchhofs als Gesamtfigur betrachtet. Die Übergänge sind durch einen Niveauunterschied zwischen Kirchhof und Markplatz oder Materialitätswechsel fließend differenziert. Hier ist der Besucher umgeben von den alten 9 Steinkreuzen aus dem Kirchgarten und dem Hochkreuz. Von hier kann er direkt in die Kapelle eintreten wie auch in das Pfarrzentrum. Auch in den Pfarrgarten ist ein Zugang von hier aus möglich. Im Pfarrgarten wurden der räumliche Bedarf des Pfarrgartens und der des liturgischen Außenraumes zusammengefasst, um diesem Raum weitere Dimensionen und Qualitäten zu geben. Der südliche Bereich grenzt direkt an den Pfarrsaal, der sich mit einem überdachten Übergangsbereich in diesen erweitern kann. An die Kapelle grenzt ein überdachter Außenbereich der als Erweiterung des Innenraumes genutzt werden kann. Der Gottesdienst im Freien findet neben der verpflanzten Linde zum „100 jährigen Kirche“ statt. Der Garten wird in Anlehnung an einen Klostergarten mit überdachtem Umgang und einer langen Bank angelegt, die Ausführung erfolgt in schlichter Materialität.

Kapelle
Vier leicht verzogene Außenwände bilden den Innenraum der Kapelle, der über eine umlaufende Fuge zwischen Wand und Dachkörper belichtet wird. Ein Flittermauerwerk auf der Südseite illuminiert je nach Sonnenstand punktuell zusätzlichen den Kapellenraum. Der Hauptzugang erfolgt über den Kirchhof. Zwei parallel gestellte Wände an dieser Seite erzeugen einen Filter zwischen profanen (Marktplatz) und sakralen Raum (Kapelle) und nehmen die Kerzenkapelle und das Eingangfoyer auf. An großen Festtagen kann die Wand zum Pfarrgarten verschoben werden, so dass ein weiterer überdachter Bereich für zusätzliche Gottesdienstbesucher entsteht. Kapellenraum und Außenraum können als zusammenhängende Fläche für bestimmte Feiern verwendet werden. Der Kapellenraum fokussiert sich mit seiner klaren Geometrie auf Ambo und Altar und lässt Freibereiche als „Möglichkeitsräume“ offen.

Städtebau Ideenteil
Der Städtebau des Ideenteils ist geprägt durch eine robuste und damit flexible städtebauliche Struktur. Unabhängig von den entstehenden Funktionen bilden die Gebäude mit Satteldach in Ost West Richtung eine Gruppe von Gebäuden, die sich innerhalb des weiteren Umfeldes in Manheim erkennbar einordnet. Entsprechend der Gestaltungsfibel sollten hier Gebäude entstehen, die dem Ortsbild einen prägenden Charakter geben, eine Vorbildfunktion erfüllen, lediglich etwas größer sind als die Übrigen. Das Mehrfamilienhaus mit 6 Wohneinheiten und das Gemeindehaus werden für den motorisierten Verkehr zusammen über den St. Albanus Weg erschlossen. Der Umgang des Kirchenzentrums wird als Stichstrasse genutzt, um die gemeinsame Parktasche zu erreichen, in der 10 Stellplätze Raum finden. Drei der Stellplätze werden den Wohnungen über dem Gemeindesaal zugeordnet, 7 Stellplätze den altersgerechten Wohnungen im Norden. Der Freiraum zwischen dem Mehrfamilienhaus mit 6 Wohneinheiten für Senioren und dem kommunalen Gemeindehaus hat durch den südlich liegenden Erschließungsraum eine hervorragende Besonnung und kann an den Pfarrgarten über ein geöffnetes Tor angebunden werden. Jedoch auch selbstständig kann der Gemeinschaftsgarten mit Bewohnerbeeten und einem baumüberstandenen Sitzplatz als Bewohnertreffpunkt seine Qualitäten entwickeln. Durch die Bündelung der Parkplätze entstehen Synergieeffekte, die vertraglich geregelt werden können.

Energetischer Standard
Der energetische Standard kann sich mit entsprechend dimensionierten Dämmstoffdicken für die Wärme übertragenden Umfassungsflächen Bodenplatte, Außenwände und Dach am Passivhaus orientieren. Die kompakte und geschlossene Ausbildung des Baukörpers wirkt sich positiv auf die Energiebilanz aus. Auf eine sehr gute Ausführung der luftdichten Ebene, um Lüftungswärmeverluste zu minimieren, muss während der Ausführung Wert gelegt werden. Eine Dreischeibenisolierverglasung in wärmetechnisch hochwertigen Fensterrahmen vervollständigt die kompakte und einfache Hülle, deren potentielle Wärmebrücken optimiert werden. Eine effiziente Beleuchtung und elektrische Ausstattung, auch der Küche, minimiert den Energieverbrauch. Eine Lüftungsanlage mit hoher Wärmerückgewinnung kommt zum Einsatz, der Restbedarf an Heizwärmebedarf wird möglichst effizient und ökologisch vertretbar erzeugt. Dies geschieht in der Kapelle über eine Fußbodenheizung mit entsprechend niedrigen Vorlauftemperaturen, im Pfarrzentrum über Heizkörpern die z. B. von einem einem kleinen Pelletkessel gespeist werden. Mit dem zusätzlichen Einsatz einer Photovoltaik-Anlage kann ein Plus-Energie-Gebäude erzielt werden. Die Verwendung eines monolithischen Materials für die Wände wirkt sich positiv auf die Stoffkreislaufbilanz aus.

Das Thema „Die Schöpfung zu bewahren“ muss insbesondere bei der Aufgabenstellung für Mahnheim-Neu weiter gefasst werden. Gilt es doch nicht nur energetische Standards einzuhalten sondern das vorhandene geistliche Leben der Kirchengemeinde Mahnheims zu „bewahren“, nach Möglichkeit weiter zu entwickeln. Das Vorhandene ist möglichst behutsam und würdevoll zu behandeln. Das kann teilweise einfach der Umzug einzelner Elemente an den neuen Standort bedeuten. Es kann aber auch eine Transformation einzelner Elemente zu etwas ganz Neuem bedeuten, in dem es in einen gänzlich neuen räumlichen Kontext gestellt oder baulich konstruktiv anders verwendet wird. Durch die möglichst vielschichtige Bewahrung und Transformation entwickelt sich eine starke Identität des Ortes, der Raum für die Erinnerungen, aber auch Raum für das zukünftige Leben der Gemeinde schafft.

Fotos: Viola Epler

mit
hermanns landschaftsarchitektur/umweltplanung